Gendersensible Sprache

Warum eine gendersensible Sprache?

„Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt an der Unfallstelle. Der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Ein Arzt eilt in den OP, tritt an den Operationstisch heran, auf dem der Junge liegt, wird kreidebleich und sagt: „Ich bin nicht im Stande zu operieren. Dies ist mein Sohn.“

Im ersten Moment irritiert diese Geschichte viele Lesende. War der verunglückte Vater nicht der leibliche Vater und der Arzt im OP erkannte seinen leiblichen Sohn? Handelt es sich um ein gleichgeschlechtliches Elternpaar, so dass der Junge zwei Väter hatte? Oder wurde hier einfach davon ausgegangen, dass „Arzt“ ein genderneutraler Begriff ist und so Mann und Frau gleichermaßen meint?

Letzteres ist häufig der Fall. Die Mutter begegnet im OP ihrem Sohn. Sie ist eben kein Arzt, sondern eine Ärztin. Denn an eine Ärztin denken leider erst einmal die wenigsten, wenn sie den männlichen Begriff hören. Die Geschichte zeigt, wie sehr Vorstellung und Wahrnehmung an Sprache gekoppelt sind – und dass eine differenzierte Sprache dazu beitragen kann, Missverständnisse zu verhindern und Rollenbilder aufzubrechen.

Sprache und Realität

Die Verwendung von männlichen Formen, bei denen Frauen „mitgemeint“ sind, ist weit verbreitet und historisch geläufig. Es handelt sich hierbei um das sogenannte „generische Maskulinum“, eine verallgemeinernd verwendete männliche Personenbezeichnung.Dass alle nicht-männlichen Personen zwar häufig mitgemeint, selten jedoch mitgedacht werden, zeigen sprachwissenschaftliche und psychologische Studien.

Sprache bildet also nicht nur gesellschaftliche Strukturen ab, sondern prägt auch unsere eigene Wahrnehmung. Berufsbezeichnungen waren bis in die 1990er Jahre hinein überwiegend maskulin und spiegelten wider, dass es in der Vergangenheit Männern vorbehalten war, Berufe auszuüben (wie z. B. Kaufmann, Ingenieur oder Kanzler).

Wie stark verwurzelt das generische Maskulinum in der deutschen Sprache ist, zeigt auch dieses Beispiel: „Die Schule als Arbeitgeber“ empfinden wir als richtig, obwohl die grammatikalisch korrekte Variante „Die Schule als Arbeitgeberin“ wäre. Begriffe wie Kauffrau oder Kanzlerin, um die sich in den 1970er Jahren bzw. in 2005 noch große Diskussionen entfacht haben, verwenden wir heute selbstverständlich. Das zeigt: Sprache ist wandelbar.

Was bedeutet gendersensible Sprache?

Das Ziel der gendersensiblen Sprache ist die Ansprache und Repräsentation aller Menschen, unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Der bewusste Umgang mit Sprache kann stereotypen Bildern sowie Benachteiligungen entgegenwirken und dabei helfen, das Denken in Rollen zu überwinden. „Gendern“ bedeutet also, alle sozialen und biologischen Geschlechter anzusprechen und einzubinden (männlich, weiblich, intergeschlechtlich, transgeschlechtlich und viele mehr).

Wir bei Avocadostore

Bei Avocadostore sind Respekt und Offenheit die Basis allen Tuns. Wir nehmen aufeinander Rücksicht und wir wollen Vielfalt und Chancengleichheit fördern. Gleichberechtigung ist für uns selbstverständlich und sollte deshalb auch in einer gerechten und inklusiven Sprache zum Ausdruck kommen.

Aber wie? Hier treffen im deutschen Sprachraum Bedürfnisse, Meinungen und Ansätze aufeinander. Der Duden hilft derzeit noch wenig – denn bevor Sprache einen Entwicklungsprozess widerspiegeln kann, bedarf es zuerst gesellschaftlicher Verhandlungen. Bis dato gibt es also weder ein standardisiertes Regelwerk noch die eine gendersensible Sprache. Es gibt also kein richtig oder falsch – sich gendersensibel auszudrücken ist ungewohnt und es bedarf Übung. Wir empfehlen, Sprache kreativ zu nutzen und sich jenseits der gewohnten Muster auszuprobieren. Wir möchten dafür sensibilisieren, welch potenziell diskriminierende Wirkung Sprache haben kann und dazu anregen, über Sprache nachzudenken und sie bewusst zu gebrauchen.

Neutrales Formulieren ermöglicht es, alle Gender miteinzubeziehen und den amtlichen Vorgaben zu entsprechen. Oftmals können Satzstellungen verändert oder genderneutrale Ausdrücke gefunden werden. Patentrezepte gibt es wenige, jedoch einige Ideen, um sich auszuprobieren. Das Gendern mit Genderzeichen kann als ergänzendes Instrument genutzt werden, um ein persönlicheres Schreiben zu ermöglichen und die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten sichtbar zu machen.

Sich gendersensibel ausdrücken

Seit 2018 erfordert das Personenstandsgesetz die Repräsentation eines dritten Geschlechts: Neben „weiblich“ oder „männlich“ kann auch „divers“ im Personenstandsregister ausgewählt oder der Personenstand streichen gelassen werden. Um allen Geschlechtern auch sprachlich gerecht werden, haben sich Formen mit Gendergap (Lehrer_in), Genderstern (Lehrer*in) oder Genderdoppelpunkt (Lehrer:in) entwickelt. Diese schließen alle Geschlechtsidentitäten ein und machen die Vielfalt deutlich. Die Sonderzeichen sind sozusagen Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen. Im Vergleich zu neutralen Ausdrücken ermöglichen die Genderzeichen ein persönlicheres Schreiben.

Innerhalb der Queercommunity gibt es verschiedene Strömungen, welche Zeichen bevorzugt werden. Neben dem Genderstern hat sich aktuell der Doppelpunkt als beliebteste Lösung herausgestellt. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband weist auf Schwierigkeiten mit allen Genderzeichen hin, weil beim Vorlesen und bei der Darstellung in Blindenschrift Probleme entstehen können. Er bittet deshalb um sparsame Verwendung der Zeichen. Auch aus orthografischer Sicht treten Besonderheiten auf: So fehlt z. B. bei Kolleg:innen die vollständige Form Kollegen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung erkennt aktuell kein Zeichen offiziell an. Solange können wir als Sprachgemeinschaft ausprobieren, was funktioniert und was nicht.

Sich genderneutral ausdrücken

  • Neutrale Formen (wie Mitarbeitende statt Mitarbeiter) integrieren alle Geschlechtsidentitäten.
  • Sie folgen der amtlichen Rechtschreibung, da es keinerlei Satz- oder Sonderzeichen bedarf, um zu kommunizieren.
  • Sie lassen sich gut vorlesen und sind damit für blinde und sehbehinderte Menschen barrierefrei.
  • Die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten bleibt durch Partizipialkonstruktionen unsichtbar, in manchen Kontexten ist ihre Sichtbarkeit jedoch ausdrücklich erwünscht.
  • Partizipialkonstruktionen können distanziert und unpersönlich wirken.

Und gesprochen?

Um die Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen, wird die Doppelnennung (Lehrerinnen und Lehrer) vermieden. Stattdessen etabliert sich eine Sprechpause (Lehrer Pause innen). So werden auch in der gesprochenen Sprache durch die Pause alle Geschlechtsidentitäten berücksichtigt.

Tipps für eine abwechslungsreiche Sprache

  • Plural rules: In vielen Fällen ist es ratsam, den Plural zu verwenden. So werden alle Gender angesprochen und umständliche Formulierungen vermieden.
    • Für die Beschäftigten ist es verpflichtend (statt: als Mitarbeiter ist es verpflichtend)
    • Bei einer Reklamation können dir die Händler:innen am schnellsten helfen. (statt: Bei einer Reklamation kann dir der Händler am schnellsten helfen.)
  • Direkte Anrede: Die direkte Anrede ist oft kürzer und gestaltet viele Texte im wahrsten Sinne des Wortes „ansprechender“.
    • Du trägst die Kosten der Rücksendung selbst. (statt: Der Kunde trägt die Kosten der Rücksendung.)
  • Geschlechtsneutrale Ausdrücke:
    • Führungskräfte (statt: Chefs)
    • Feuerwehrleute (statt: Feuerwehrmänner oder Feuerwehrfrauen)
  • Substantivierte Partizipien für Gruppen:
    • Bietet sich vor allem im Plural (für die Beschreibung von Gruppen) an.
    • Mitarbeitende (statt: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen)
    • Studierende (statt: Studenten und Studentinnen)
  • Geschlechtsneutrale Sach- und Kollektivbezeichnungen:
    • Fachwissen (statt: Expertenwissen)
    • Presse (statt: Journalisten)
    • Kollegium (statt: Kollegen)
    • Leitung (statt: Leiter)
    • Projektteam (statt: Projektmitarbeiter)
  • Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen:
    • Alle (statt: Jeder)
    • Niemand (statt: Keiner)
    • Mensch, Menschen
    • Person, Personen
    • Kraft, Kräfte
    • Mitglied, Mitglieder
  • Adjektive statt Personenbezeichnungen:
    • Fachkundiger Rat (statt: Rat eines Fachmannes)
    • Ärztliche Schweigepflicht (statt: Arztgeheimnis)
    • Kritische Stimmen (statt: Kritiker)
    • Hole dir ärztlichen Rat (statt: Frage deinen Arzt)
  • Verben statt Substantive:
    • Teilgenommen haben 20 Personen. (statt: Es gab 20 Teilnehmer.)
    • Verfasst von (statt: Verfasser)
  • Umschreibungen: Manchmal bieten sich das Passiv, unpersönliche Konstruktionen oder das allumfassende Wir an. Allerdings muss klar sein, an wen sich die Äußerung richtet.
    • Es muss Folgendes beachtet werden. / Wir müssen Folgendes beachten. (statt: Mitarbeiter müssen Folgendes beachten.)
  • Bildung von Relativsätzen: Diese benötigen zwar mehr Platz, können aber auflockernd wirken und bieten sich als stilistische Abwechslung an. Im Sinne der gendersensiblen Verwendung ist darauf zu achten, beim Relativsatz kein maskulines Pronomen zu verwenden.
    • Wer einen Mord begeht, wird bestraft. (statt: Mörder werden bestraft.)
    • Wer studiert hat (statt: Akademiker)
    • Es ist nicht bekannt, wer das Werk verfasst hat. (statt: Der Verfasser des Buches ist unbekannt.)

Quellen und weitere Informationen:

  • www.iu.de/hochschule/diversity-und-gleichstellung/gendersensible-sprache/
  • www.gb.uni-koeln.de/gendersensible_sprache/index_ger.html
  • www. genderleicht.de/
  • www.lpb-bw.de/gendern#c76341
  • www.fairlanguage.com/autokorrektur-tool-fuer-gendergerechte-sprache/
  • Duden. Gendern – ganz einfach. Von: Gabriele Diewald, Anja Steinhauer